FAHRBERICHT BMW M1

DAS GESCHOß

(auto motor und sport 25/1978. Götz Leyrer. D.)




Der Konstrukteur des Autos, das künftig auf Straßen und Rennpisten die weiß-blaue Fahne hochhalten soll, ist Schwabe, heißt Martin Braungart und residiert in Münchens Preußenstraße.

Denn dort, bei der BMW Motorsport GmbH, entsteht neuerdings ein nur 1,14 Meter hohes Geschoß, das von Preis und Leistung her den Anspruch erhebt, mit den superschnellen Exoten von Ferrari, Lamborghini und Maserati zu konkurrieren.

   Und mehr noch: „Bei BMW“, so heißt es in großformatigen Anzeigen, „geht jetzt ein modifizierter Rennwagen in Serie.“ Tatsächlich wurde das mit der charakteristischen BMW-Niere im Kühlergrill gezierte Coupé als Rennwagen konzipiert, und die Serienausführung entsteht aus Homologationsgründen zunächst in einer Auflage von 400 Exemplaren, von denen jedes exakt 100 000 Mark kostet.

   Doch dabei wird es wohl nicht bleiben, denn der stattliche Preis scheint die Käufer eher anzulocken als abzuschrecken. Schon jetzt übertreifft die Nachfrage nach dem schlicht M1 (M für Motorsport) getauften Straßen-Renner alle Erwartungen – ganz offensichtlich ist es für betuchte Mitmenschen von besonderem Reiz, keinen Ferrari, sondern eben einen deutschen Exoten zu fahren.

   Dies erscheint auch um so verständlicher, als der neue BMW M1 italienischen Kreationen formal nicht nachsteht. Das flache, auf breiten Reifenwalzen daherrollende Coupé wurde unter der Hand von Italiens Meister-Designer Giorgetto Giugiaro zu einem Aufsehen erregenden blickfang, und daß ihn unwissende Zeitgenossen nicht etwa für einen neuen Lamborghini halten – dafür wurde ebenfalls gründlich gesorgt: Ausgehend von der Überlegung, daß ihn die meisten nur von hinten zu sehen bekommen werden, prangt das BMW-Zeichen gleich in zweifacher Ausfertigung am Heck.

   Zu den Vorzügen der aus Kunststof gefertigten M1-Karosse zählt neben ihrem Aussehen und ihrem geringen Luftwiderstand (Cw-Wert unter 0,4) die Tatsache, daß bei ihr das Mittelmotor-Konzept nicht wie bei vielen änlich konstruierten anderen Autos zu drastischer Beschneidung der Alltagstauglichkeit führte.

   Während beispielsweise der Pilot einer Berlinetta Boxer von Ferrari neben der Beifahrerin am besten nur noch eine Zahnbürste und einen Rasierapparat mit auf die Reise nimmt, kann der M1-Besitzer getrost üppigeres Marschgepäck vorsehen.

   Hinter dem engen Motorabteil nämlich tut sich nach Öffnen der großen Heckklappe ein vergleichsweise stattlicher Kofferraum auf, dessen Fassungsvermögen durch das platzsparende Falt-Reserverad nur unwesentlich eingeschränkt wird.

   Für zwei Personen jedenfalls dürfte das gebotene Stauvolumen normalerweise genügen, und mehr haben im M1 ohnehin nicht Platz. Denn hinter den beiden bequem geformten und gute Seitenführung bietenden Sportsitzen geht der Innenraum abrupt zu Ende. Der Verstellbereich der Sessel geriet daher etwas begrenzt groß – wer aber nicht wesentlich länger ist als 1,80 Meter, kann das kleine Lederlenkrad in kommoden Abstand ergreifen und muß lediglich sorgfältig darauf achten, seine unteren Extremitäten richtig in den relativ engen Fußraum einzufädeln.

   Ist dies erst einmal gelungen, braucht man sich über Platzmangel nicht mehr zu beklagen. Die Ellenbogenfreiheit ist reichlich bemessen, und die gute Sicht nach vorn und nach der Seite unterstreicht noch den Eindruck eines großzügigen Raumgefühls. Was hinter dem M1 vorgeht, kann der Fahrer allerdings nur erahnen: Direkt nach hinten stört die jalousieartige Blende über dem Heckfenster den freien Durchblick, und schräg nach hinten sieht man wegen der dicken Dachstreben gar nichts, was besonders beim Einfädeln auf die Autobahn bisweilen lästig ist. Ein Trost: Ein Außen spiegel rechts ist serienmäßig vorgesehen; er läßt sich zudem auf elektrischem Weg bequem in die gewünschte Position rücken.

   Auch sonst wurde auf größtmögliche Funktionalität geachtet. Die verschiedenen Schalter und Hebel entsprechen in Gestaltung und Anordnung den Limousinen der Siebener-Reihe und geben deshalb keine Probleme auf, die runden Instrumente lassen sich einwandfrei ablesen, und die Betätigung von Heizung und Lüftung, die weitgehend dem Dreier-BMW gleicht, überzeugt ebenfalls durch perfekte Übersichtlichkeit. Vorgesehen ist außerdem eine Klimaanlage, und diese dürfte im Sommer angesichts der extrem geneigten Fensterflächen auch notwendig sein, um den thermischen Haushalt der M1-Passagiere zu regulieren.

   Gegenüber anderen, ähnlich kostspieligen Exoten erscheint der bmW M1 auf den ersten Blick etwas dürftig motorisiert. Denn während in Italien und England bei den Sportwagen der obersten Preisklasse durchweg acht oder sogar zwölf Zylinder zum Einsatz kommen, sorgt im M1 ein Reihen-Sechszylinder mit knapp 3,5 Liter Hubraum für den Vortrieb.

   Diese sechs Zylinder allerdings sind dennoch ein Beispiel für ungewöhnlich aufwendigen motorenbau. Sie werden nämlich von einem Zylinderkopf mit zwei Nockenwellen gekrönt, und diese betätigen insgesamt 24 Ventile – so etwas gibt es sonst bei keinem anderen Serieauto der Welt.

   Das bayerische Motorenwerk kann sich denn auch im Kreise vielzylindriger Kollegen durchaus sehen lassen. Bei 6500/min produziert es immerhin 277 PS (204 kW), und da der M1 mit einem Leergewicht (nach Werksangabe) von nur 1300 kg ziemlich leicht geriet, ist schon der papierfrom nach klar, daß er mit zu den schnellsten Autos überhaupt gehören muß.

   Der erste Fahreindruck ließ gerade daran auch keinen Zweifel aufkommen. Der M1 setzt sich mit beeindruckender Vehemenz in Bewegung, und selbst wenn die Tachonadel bereits im Bereich um 200 km/h schwankt, entfesselt ein weiterer Tritt aufs Gaspedal noch überzeugendes Temperament.

   Dabei ist man bei dieser Geschwindigkeit noch nicht einmal auf die fünfte Fahrstufe des bei dem gefahrenen Vorserien-Autos noch etwas schwergängigen Fünfganggetriebes angewiesen.

   Der vierte kann bis 225 km/h eingelegt bleiben, und wenn der Fahrer anschließend die längste übersetzung wählt, beschleunigt das flache Geschoß zügig weiter bis zur Höchstgeschwindigkeit, die nach Werksangabe bei über 260 km/h liegt. Die von der Motorsport GmbH genannten Beschleunigungswerte machen im übrigen ebenfalls deutlich, daß der subjektive Eindruck von Bärenkraft nicht trügt: 5,6 Sekunden geben die Münchner für den Spurt von 0 auf 100 km/h an, und nach knapp über 20 Sekunden fliegt der M1 bereits mit 200 km/h dahin.

   Bei all dem gibt sich der Sechszylinder bemerkenswert kultiviert. Er hat nichts gegen niedrige Drehzahlen einzuwenden, sondern dreht auch dann noch sauber und ohne zu ruckeln hoch, wenn man in einem der oberen Gänge bei wenig mehr als Leerlaufdrehzahl Vollgas gibt.

   Obwohl schließlich speziell bei Mittelmotor-Autos die Abdämmung des Motorgeräuschs eine schwierige Aufgabe darstellt, vermag der M1 auch in dieser Hinsicht zu überzeugen. Schon bei jenem Exemplar, das auto motor und sport einer ersten Fahrerprobung unterzog, war der sonore Sound des direkt hinter den Köpfen der Insassen arbeitenden Sechszylinders erträglich, was um so mehr erstaunt, als dieses Exemplar noch mit keinerlei geräuschdämpfendem Material ausgerüstet war.

Bei den aus der Serienfertigung kommendes Autos soll in dieser Hinsicht noch einiges getan werden, denn – so M1-Entwickler Martin Braungart – bei den Marketing-Fachleuten der großen BMW-Mutter steht auch bei einem so sportlichen Auto die Fahrkultur mit an erster Stelle. „Die Serien-Ausführungen“, verspricht Braungart zuversichtlich, „werden noch rund 50 prozent leiser sein als die ersten Exemplare.“

   Auch die Quelitäten des Fahrwerks, das sich durch klassische Rennwagen-Konstruktion mit doppelten Querlenkern vorn und hinten auszeichnet, dürften nach Meinung des Entwicklungsmanns bis zum endgültigen Anlauf der M1-Serie noch besser werden, als sie es bisher schon sind.

   Denn schon jetzt gab es kaum etwas auszusetzen. Der M1 läuft auch bei sehr hoher Geschwindigkeit befriedigend geradeaus und macht es damit seinem Fahrer leicht, auf der Autobahn ein stattliches Reisetempo vorzulegen. Dazu kommt, daß die Zahnstangenlenkung, bei der auf eine Servounterstützung verzichtet wurde, zwar direkt arbeitet, aber ohne jegliche Nervosität reagiert und damit eventuell notwendige Korrekturen beträchtlich erleichtert.

   Bis allerdings in schnell gefahrenen Kurven derartige Manöver erforderlich werden, dauert es eine ganze Weile. Der M1 erreicht Querbeschleunigungen von fast einem g (g = Erdbeschleunigung), und dies bedeutet in der Praxis, daß es kaum ein anderes Auto gibt, das ernsthafte Chancen hat, ihm in Straßenkrümmungen zu folgen. Ein Sportwagen für Ungeübte ist der M1 freilich trotzdem nicht: Die prinzipbedingte Eigenschaft aller Mittelmotor-Wagen, beim Erreichen des Grenzbereichs nach einem relativ schmalen Übergang von normalerweise neutralen Fahrverhalten ins Übersteuern zu wechseln, gibt es auch bei ihm. Wie gut man mit dieser Eigenschaft letztendlich leben kann, wird auto motor und sport noch in einem ausführlichen Test klären.

   Gut leben läßt es sich jedenfalls mit dem Federungskomfort des M1. Obwohl als kompromißloser Sportwagen konzipiert, zeigt sich seine Federung Bodenwellen aller Art gut gewachsen – sie werden durchweg so gründlich verdaut, daß die Insassen sich keinen unangenehmen Stößen ausgesetzt sehen.

   Angesichts dieser ingesamt guten Qualitäten fällt es nicht schwer, dem neuen BMW eine, im Rahmen der vom Preis gesteckten Grenzen, erfolgreiche Zukunft vorherzusagen. Und damit gewinnt die 1 in der Typenbezeichnung noch eine zusätzliche Bedeutung: In der exklusiven Klasse der schnellen Traumwagen gehört das Bayern-Produkt sicher mit auf einen der ersten Plätze.


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